Sunday, August 31, 2014

Die Amazonen der Peschmerga


Stand: 01.09.2014 02:53 Uhr


Es sind nicht nur Männer, die im Nordirak gegen den Islamischen Staat kämpfen. Wie viele Frauen genau sich freiwillig an der Waffe ausbilden lassen und mit an die Front ziehen, bleibt zwar ein Militärgeheimnis. Fest steht, es sind Hunderte.


Von Peter Steffe, ARD-Hörfunkstudio Kairo, zzt. Erbil


In einer Kaserne in Dohuk, im Norden des kurdischen Autonomiegebietes, wird eine Gruppe von 30 jungen Frauen gedrillt. Sie tragen neue Wüsten-Tarnuniformen und Militärstiefel. Exerzieren ist angesagt.


Seit die Mörder-Milizen des Islamischen Staates das kurdische Autonomiegebiet bedrohen, sei die Zahl der Freiwilligen, die sich an der Waffe ausbilden lassen wollen, sprunghaft gestiegen, heißt es von offizieller Seite. Darunter auch viele Frauen. Zahlen von Bewerberinnen für den Militärdienst werden allerdings nicht veröffentlicht. Da hüllt man sich in Schweigen – Militärgeheimnis.


Nihajjad Salih ist eine der Rekrutinnen, deren Vater im Kampf gefallen ist: “Mein Vater hat als Peschmergasoldat sein Leben gegeben. Ich folge der Militärtradition, habe mich freiwillig zu den Streitkräften gemeldet und strebe ebenso eine Armeekarriere an wie mein Vater. Ich will damit meinem Land dienen.”


“Ich will den Umgang an der Waffe lernen”, sagt Dschihad Samad, “um mein Land zu verteidigen. Deswegen bin ich zur Peschmergaeinheit gegangen. Ich will diese militärische Ausbildung, weil Kurdistan auch weibliche Kämpfer braucht.”


“Viele Frauen sind sehr geschickt”


Der Ausbilder in der Kaserne von Dohuk ist ein Mann. Nihad Savgan nimmt mit Respekt zur Kenntnis, wie die jungen Rekrutinnen sich engagieren: “Die Frauen kommen von unterschiedlichen Organisationen, um freiwillig Dienst bei der Peschmerga-Truppe zu leisten. Klar ist es nicht einfach ein Kämpfer zu werden, aber viele der Frauen sind sehr geschickt, einige in guter Form.”


Zehn Tage lang werden die weiblichen Peschmerga militärisch “geschliffen” und an der Waffe ausgebildet, kommen dann in ihre jeweilige Fraueneinheit. Viyan Yusuf, Kommendeurin, einer solchen Frauen-Armee-Kompanie sieht den Zulauf an Freiwilligen weiblichen Peschmerga positiv: “Frauen werden furchtlos, wenn sie wissen, wie man Waffen bedient. Dieses Training unterstützt die Peschmerga-Kräfte in Kurdistan, weil sie so eine größere Schlagkraft bekommen. Insbesondere, wenn man weiß, hier sind bewaffnete Frauen, die gewillt sind, für ihr Land zu kämpfen.”


600 Soldatinnen in Sulaimanija


Mehrere hundert Kilometer südöstlich von Dohuk, in der Provinz Sulaimanija, befindet sich eine der größten Garnisonen des autonomen Kurdengebietes. 600 Soldatinnen leisten hier ihren Dienst. Sie sind mitunter mit Wachaufgaben vor Regierungs- und Verwaltungseinrichtungen betraut, schützen aber auch ihre eigene Militäreinrichtung.


1996 wurden erstmals Frauen ins kurdische Militär aufgenommen. Rund 100 von ihnen sollen bereits an vorderster Front eingesetzt worden sein. Eine von ihnen ist die stellvertretende Kompanichefin in Sulaimanija Nasrin Hamalau. Seit Gründung der ersten Frauen-Einheit ist sie dabei.


Erst am 7. Juli hat sie bei Kirkuk gegen Milizen des Islamischen Staates mit anderen Peschmerga-Einheiten gekämpft: “Ich habe damals die traditionelle Peschmergakleidung getragen: einen sandfarbenen Overal, das schwarz-weiße Dschamadani-Tuch auf dem Kopf, Stiefel und Gürtel. Wir haben die IS bekämpft, ich habe auch geschossen. Ob ich einen von denen getroffen habe, weiß ich nicht, aber ich habe mitgekämpft.”


Viele Frauen der Einheit von Sulaimanija sind verheiratet, haben mehrere Kinder. Faiza Aziz, ebenfalls Offizierin, bringt Militärdienst und Familie unter einen Hut. Einfach sei das nicht, aber ihr Mann, selbst Mitglied kurdischer Sicherheitskräfte, unterstützt sie dabei: “Als ich geheiratet habe, sagte ich zu meinem Mann: ‘Ich will zur Armee, ich will Peschmerga werden.’ Er hat mir bei allem geholfen. Mit seiner Hilfe konnte ich dann sogar die Offizierslaufbahn einschlagen. Daher bin ich meinem Mann sehr dankbar dafür, dass er mir so den Rücken gestärkt hat.”


Skeptische Männer


Zu Beginn ihrer Militärkarriere waren viele Männer skeptisch. Frauen in Armeeeinheiten? Wie kann das gehen? Erst mit der Zeit veränderte sich diese Haltung: “Am Anfang haben viele gesagt: ‘Was wollt ihr bei der Armee? Das ist doch nichts für eine Frau.’ Es gab aber auch Männer, gerade in der Patriotischen Union Kurdistans, die uns Frauen unterstützt und die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir zum Militär konnten und sogar eine eigene Einheit bekamen. Bei vielen hat sich die Einstellung verändert, andere sehen das noch immer kritisch.”



“Ja, wir sind bereit”


Peschmerga heißt frei übersetzt “die dem Tod ins Auge Sehenden”. Jetzt, da im Nordirak Gefahr von den Milizen des Islamischen Staates droht, können auch Frauenkompanien den Einsatzbefehl erhalten.


“Wir werden dorthin gehen, wo unsere Kommandeure uns hinschicken”, sagt Nasrin Hamalau, “ja, wir sind bereit. Wir werden gehen.” Angst vor IS? “Nein, nicht im Geringsten. Ich bin eine Peschmerga. Dafür habe ich meine Waffe”, sie klopft auf ihr Pistolenholster und lacht.




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