Freitag, 15. August 2014
Ob bei der Fußball-WM, in der Großraumdisco oder beim Schlager-Event: “Atemlos durch die Nacht” von Helene Fischer ist der Song für alle Fälle und der Überhit des Jahres. Geschrieben wurde das Lied von der in der Schweiz lebenden Deutschen Kristina Bach. Die Schlagersängerin veröffentlicht am 15. August ihr neues Album “Leben ist Liebe!” mit einer englischsprachigen Version des Stückes. Wie es dazu kam, und ob sie es jemals bedauert hat, den Song an Fischer gegeben zu haben, erzählte uns die 52-Jährige ganz entspannt bei Bratwurst und Apfelschorle in Hamburg.
Frau Bach, Sie haben für Helene Fischer den Song “Atemlos durch die Nacht” geschrieben. Haben Sie da schon gespürt, dass das Lied groß werden könnte?
Ich wusste, dass der Song gut ist. Und ich habe immer gedacht: Hoffentlich wird das eine Single! Die erste Single, auf der bei einem Album ja immer der Fokus liegt, wurde aber “Fehlerfrei”. Als Helene die neuen Songs im Fernsehen vorgestellt hatte, merkte man aber schon, dass bei “Atemlos” der Applaus am größten war. Es wurde also die zweite Single.
Hat Sie der Erfolg überrascht?
Dass die Zweitauskopplung ein Kulthit wird, davon geht man nicht aus. Und daran kann man sehen, dass man einen Hit nicht planen kann. Man kann ihn aber auch nicht verhindern. “Atemlos” hat sich verselbstständigt. Der Song war wie ein Zug, bei dem die Bremse gelöst wird und der immer schneller über die Schienen brettert.
Und wenn man zu Hause sitzt und sieht, was mit dem eigenen Song passiert, ärgert man sich dann, ihn nicht selbst gesungen zu haben?
Nein, das ist doch super. Ich habe sehr früh angefangen, mir ein zweites Standbein aufzubauen. Ich bin nicht nur Sängerin, ich habe ganz bewusst für andere Künstler geschrieben und neue Talente auf den Markt gebracht. Eine Michelle und eine Jeanette Biedermann – wer weiß, ob es die ohne mich geben würde; zumindest haben sie sich durch mich sehr gut positioniert.
Wieso hat es Ihnen nie gereicht, eine erfolgreiche Sängerin zu sein?
Ich habe deshalb so früh als Musikautorin angefangen, weil ich durch den Freitod der Sängerin Renate Kern, die irgendwann keinen Erfolg mehr hatte und depressiv wurde, gewarnt war. Sie war die Ziehmutter von Uwe Kanthak, mit dem ich verheiratet war und der heute der Manager von Helene Fischer ist. Damals war das als junges Mädchen in den Zwanzigern sehr alarmierend für mich. Ich habe mir gesagt: Nein, mir darf das nicht passieren! Wenn man mich als Sängerin nicht mehr will, dann darf mich das nicht traurig machen, sondern dann muss ich im Hintergrund weiter agieren. Hauptsache, Musik machen! Das ist mir gelungen: “Atemlos” ist mein 13. Top-Ten-Hit.
Und plötzlich finden alle Schlager toll!
Ja, aber “Atemlos” ist sowieso ein Popsong. Das ist deutschsprachiger Europop! Was ich seit Jahren mache und schreibe, ist weniger schlagrant. Aber die Leute denken immer nur in Schubladen und sagen: Das ist Schlager! Dass durch Helene diese Musik sozusagen als neuer deutscher Schlager gefeiert wird, freut mich natürlich. Aber wie gesagt, ich mache die Art von Musik schon ganz lange.
Im Internet gibt es unzählige Parodien von dem Song. Gefällt Ihnen das?
Ich kriege jeden Tag zwei Anfragen vom Musikverlag auf Textänderungen, denen ich auch zustimme, wenn sie nicht gerade sexistisch oder politisch unkorrekt sind. Da ist der Tennisclub: “Atemlos auf dem Platz”. Da sind die Krankenschwestern und Ärzte, die auf Notstände bei Nachtschichten aufmerksam machen wollen: “Atemnot in der Nacht”. Das dürfen sie auch alles machen, so lange vorher gefragt wird. Das ist das Prozedere, durch das jeder durch muss, und das ist auch gut so. Erst dann wird es offiziell genehmigt. Aber es ist schon verrückt.
Hat Sie eine Version besonders beeindruckt?
Ich bin zu Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Zürich gewesen. Da sind zwei 17-Jährige hinter mir gegangen und der eine singt plötzlich: “Tatenlos durch die Schlacht”. Und da dachte ich: Das Ding ist wirklich ein Hit! Denn die Schweiz, in der ich lebe, ist eigentlich kein Schlager-affines Land. Dass die Leute so kreativ werden und den Text als Basis nehmen für ihren eigenen Reim, das hätte ich mir im Leben nicht ausmalen können! Aber das ist auch ein Indikator dafür, dass es ein Hit ist. Ein weiteres Zeichen ist wohl, dass du des Plagiats bezichtigt wirst. Was weder Hand noch Fuß hat!
Ist das nicht fast schon eine Ehre, wenn man von der Tochter von Johnny Cash des Plagiats bezichtigt wird?
Nein, mit Verlaub, aber es ist eine Ehre für die Cash-Tochter, dass ihr Song mit meinem Kult-Hit auf eine Stufe gehoben wurde! Das war eine Geschichte fürs Sommerloch. Man hatte drei gute Namen: Cash, Fischer, Bach. Und fertig war die Sommerlochgeschichte.
Wobei die Songs schon ein bisschen Ähnlichkeit aufweisen!
Wie viele Töne gibt es denn? Die Anzahl ist nun mal begrenzt. Und auch wenn es die Cash-Tochter ist: Ihr Song war kein großer Erfolg.
Hat Sie die Unterstellung verletzt?
Im ersten Moment ist man schockiert. Du machst etwas Schönes, die Leute erfreuen sich daran und plötzlich kommt es knüppeldick. Und man fragt sich: Wieso werde ich jetzt runtergemacht? Man sieht es natürlich als Schmähung und Bestrafung und es ist natürlich auch verleumderisch, mir zu unterstellen, dass ich klauen muss. Ich habe 13 Top-Ten-Hits geschrieben. Ich weiß, was ich tue und was ich kann.
Gibt es eigentlich so etwas wie Dankbarkeit im Schlagerbusiness? Kriegen Sie von Künstlern wie Michelle, Jeanette Biedermann oder Annemarie Eilfeld noch jedes Jahr eine Weihnachtskarte?
Ach, nein. Ich denke, im Schlagerbusiness Dankbarkeit vorauszusetzen, wäre falsch. Künstler sollen professionell sein. Und die Professionellste von den dreien war die Biedermann.
Wie ist denn Ihre Beziehung zu Helene Fischer?
Schön!
Ist das Freundschaft zwischen Helene und Ihnen?
Nein. Es ist aber auch mehr als Waffenstillstand. Es ist so was dazwischen, zwischen Freundschaft und Waffenstillstand. Ich kenne kein Wort dafür.
Haben Sie ihr denn vergangene Woche zum 30. Geburtstag gratuliert?
Klar, per SMS.
Helene Fischers Manager Uwe Kanthak ist Ihr Ex-Mann. Sie haben mal über ihn gesagt, dass man bei ihm funktionieren musste. Erklärt das auch die Karriere der Helene Fischer?
Wir waren früher anders drauf, der Uwe und ich. Wir waren jung, haben geheiratet, er war ein aufstrebender Plattenfirmenmensch, wir haben uns gegenseitig super ergänzt und wollten im Musikbusiness den gemeinsam Erfolg. Und das haben wir durchgezogen. Es ist die Basis unseres heutigen Lebens. Er hat meiner Karriere gute Anstöße gegeben. Und er konnte sich aufgrund meiner Erfolge selbstständig machen und ist heute Manager, weil ich ihm das finanzielle Fundament gegeben habe. Wenn du ein Haus baust, baust du auch einen stabilen Keller.
Aber ist er ein Antreiber?
Nein, der Antreiber war damals ich! Ich habe den armen Kerl getriezt, so ehrgeizig war ich. Irgendwann war es bei ihm dann so, dass er zu viel wollte. Ich hätte mir Pausen gönnen müssen. Helene macht das heute. Sie nimmt sich ihre Auszeiten und Urlaube. Aber ich hatte nie Pause.
Hat es Helene Fischer gebraucht, um “Atemlos” so populär zu machen?
Das kann ich nicht sagen. Fakt ist ja, dass der Fokus der ersten Single, die das Album angekündigt hat, ja viel größer ist – und das war “Fehlerfrei” und nicht “Atemlos”. Der Erfolg muss also auch an dem Song liegen. Ein Hit muss erst mal geschrieben werden, um ein Hit werden zu können.
Heißt das im Umkehrschluss, “Atemlos” hätte auch mit einer anderen Sängerin so ein Erfolg werden können?
Ich könnte mir vorstellen, dass das mit Andrea Berg auch sehr gut funktioniert hätte. Aber für Helene war der Song auf den Punkt. Ein Hit muss immer zur richtigen Zeit vom richtigen Interpreten performt werden. Dass das jetzt so zustande kam und passte, ist vielleicht auch Fügung oder Schicksal. Und ein Riesenglück für Helene und für mich. Ich sage immer: It takes two to tango!
Helene Fischer ist momentan sowieso Everybody’s Darling!
Vielleicht polarisiert Helene heute nicht mehr. Aber das hat sie mal, als noch nicht so viele auf den Schlagerzug aufgesprungen waren. Da hat grundsätzlich jeder Schlagersänger polarisiert. Jetzt, wo Helene den Schlager gesellschaftsfähig gemacht hat, schämt man sich nicht mehr, man findet das cool. Und da, wo Helene jetzt ist, ist sie sowieso unerreichbar.
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In den Siebzigern gab es Schlager wie “Griechischer Wein”, “Fiesta Mexicana” und “Ti Amo”, die die Zeit überdauert haben. Warum werden solche Lieder eigentlich heute nicht mehr geschrieben?
Das sind herrliche Schlager! Aber solche Songs passen nicht mehr in die Zeit. Der Zeitgeist hat sich verändert. Die Worte haben sich geändert. Am Beispiel von “Atemlos” heißt das: Es hat einen gefühlvollen Text, aber ist nicht schmalzig, sondern trotzdem cool. Da ist die Sprache ganz entscheidend. Das Lustige ist: Als die Toten Hosen mit “Tage wie diese” einen großen Hit landeten, den Helene mal bei einem Open-Air-Konzert in der Schweiz gecovert hat, bei dem ich anwesend war, sagte sie noch zu mir: “Mensch, so einen Song will ich auch mal haben.” Und ein Jahr später hat sie ihn. Toll, oder?
Das Interview führte Katja Schwemmers
Kristina Bach “Leben ist Liebe!” (Koch/Universal), erscheint am 15. August – bei Amazon bestellen
Quelle: n-tv.de
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