Samstag, 16. August 2014
Unsere Stars sind ziemlich bunt und oft nicht rund, aber immer lecker. Hinter exotischen Namen wie Schlesische Himbeere, Berner Rose, Pink Akkordeon oder Anna German verbirgt sich das Lieblingsgemüse der Deutschen.
Des Deutschen liebstes Gemüse sind nicht etwa Kraut und Rüben, wie kritisch gesonnene Nicht-Deutsche mitunter heute noch denken. Karikaturen jenseits des Ärmelkanals zeigen unsereinen meist emsig mampfend vor einem Sauerkrautberg auf dem Teller. Ist nicht ganz abwegig, wenn man die Beliebtheit von Weißkraut zwischen Friesland und Bayern bedenkt. Doch Kohl war für uns “Krauts” wohl mal das Lieblingsgemüse, hat aber längst den 1. Platz auf der Tafel abgeben müssen an eine Frucht mit Migrantenhintergrund:Tomaten! Davon verspeiste der statistische Deutsche im Wirtschaftsjahr 2012/13 rund 21 Kilogramm – von Rot- und Weißkraut zusammen schlappe 6 Kilo. Die neue Liebe ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass die Tomaten die Deutschen erst nach 1950 so richtig überzeugten, Kohlköpfe aber schon seit dem 8. Jahrhundert in deutschen Töpfen köchelten.
Die meisten Tomaten werden in der Europäischen Union allerdings von den Griechen gegessen: 105 Kilo pro Jahr und Kopf im Jahr 2009; aktuelle Zahlen liegen leider nicht vor. Dennoch bleibt Italien das “tomatigste” Land in der EU, von Antipasti bis Pizza geht da schließlich nix ohne Tomaten: Mit einem Anteil von 37 Prozent an der 2011 in der EU produzierten Tomaten-Gesamtmenge hat Italien die Nase vorn. 60 Kilo Tomaten etwa isst jeder Italiener pro Jahr.
Die ursprüngliche Heimat der Tomaten, die botanisch gesehen übrigens kein Gemüse, sondern Beeren sind, ist aber nicht Italien, wie man meinen könnte, sondern Süd- und Mittelamerika. Azteken, Maya und Inka bauten schon um 200 v. Chr. die Urform unserer heutigen Pflanzen an. Die Azteken gaben ihr den Namen “tomatl” oder “xitomatl”. Abgeleitet davon ist ihr heutiger Name, obwohl der sich erst im 19. Jahrhundert durchsetzte. Lange hieß die Tomate in Deutschland Goldapfel, Paradiesapfel oder gar Liebesapfel, weil die intensiv-rote Frucht in dem Ruf stand, liebestoll zu machen. Diese in sie gesetzten Erwartungen hat die Tomate wohl auf ganzer Linie enttäuscht, denn von Liebesapfel spricht heute niemand mehr. In Österreich heißt sie allerdings noch immer Paradeiser.
1498 brachte Christoph Kolumbus die ersten Pflanzen mit nach Europa. Misstrauisch wurden die Früchte beäugt, man hielt sie für giftig. Da sie aber recht ansehnlich waren, durften sie als Zierpflanzen der adligen Erbauung dienen. Die Südeuropäer waren Unbekanntem gegenüber weniger abgeneigt als die “Krauts” und so begann man in diesen Ländern bereits Ende des 16. Jahrhunderts, Tomaten für genießbar zu halten.
Leute, esst mehr Tomaten!
Heute werden weltweit 150 Millionen Tonnen Tomaten jährlich angebaut. Über 2500 Sorten sind offiziell registriert, es gibt aber weitaus mehr. Die meisten sind rot und rund, aber beileibe nicht alle; sie variieren stark in Größe, Farbe und Form. Es gibt sie winzig klein oder groß wie eine Männerfaust, grün bis fast schwarz, mit und ohne Streifen, gelb oder orangefarben, glatt oder gerippt, oval oder geformt wie ein Flaschenkürbis. Die schönsten unter ihnen tragen zum Teil exotische Namen: Schlesische Himbeere, Berner Rose, Pink Akkordeon oder Green Zebra. Die zitronengelbe Anna German ist nach einer polnischen Sängerin benannt und das rote Ochsenherz kommt aus Frankreich und ist ziemlich groß. RAF ist kein schießwütiges Exemplar, sondern steht für “resistente al fusarium” (resistent gegen Wurzelfäule) und ist eine Geschmacksrevolution aus Spanien. Mit etwas Glück ist die teilweise oder völlig grüne Tomate manchmal auch auf unseren Wochenmärkten zu bekommen. Kenner schwören auf die auffällig gerippte Tomate; keine andere Tomate der Welt schmecke so aromatisch, süß und fruchtig. Sie ist eine alte andalusische Sorte, die auch voll ausgereift in sämtlichen Grüntönen erstrahlt und in ihrer Heimat unter dem Namen “muchamiel” bekannt ist. Was schlicht und einfach “viel Honig” heißt und einiges über diese Sorte aussagt.
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Von unseren 21 Kilogramm Tomaten pro Kopf wachsen allerdings nur 6 Prozent auf heimischen Feldern, der “Rest” kommt aus den Niederlanden, Spanien, Italien, Frankreich, Marokko, Israel und den Kanarischen Inseln. An dem reichlichen Import ist bereits zu erkennen, dass es Tomaten hierzulande eigentlich immer gibt, auch im Winter. Was aber sind die wässrigen und meist geschmacksneutralen Supermarkt-Dinger, die halbreif geerntet auf die Reise geschickt wurden, gegen die sonnengereiften, prallen Tomaten von hiesigen Feldern? Die Chancen auf einen guten Geschmack stehen von Juli bis September am besten: Je länger die Tomaten am Strauch Sonne tanken, desto mehr Aroma steckt in ihnen. Kein Wunder also, dass die Nachfrage nach Heimat-Tomaten steigt und die Verbraucher auch bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen. Der sogenannte Selbstversorgungsgrad, der auch frische Tomaten aus dem eigenen Garten einschließt, beträgt deutschlandweit inzwischen 10 Prozent und ist leider auf wenige Monate im Jahr beschränkt. Jede zweite frische Tomate in unseren Supermärkten kommt übrigens nicht etwa aus dem warmen Süden, sondern aus den Niederlanden. Die Niederländer haben nicht mehr Sonne als wir, aber dafür preisgünstige Energiebezugsmöglichkeiten für die Unterglasproduktion. Deshalb gedeihen dort massenhaft Tomaten, die aber kein Stückchen Sonne sehen. Reichlich Vitamin C ist aber nur in Freilandfrüchten anzutreffen, Treibhaustomaten liefern lediglich die Hälfte. Eine große Feld-Tomate liefert zum Beispiel 40 mg Vitamin C, das entspricht etwa der Hälfte des Tagesbedarfs eines Erwachsenen. Und wenn man bedenkt, dass von den deutschlandweit 1,69 Millionen Tonnen gefutterten Tomaten nur ein Drittel frisch auf dem Teller landet und der Rest als verarbeitetes Produkt, kann man nur laut rufen: Leute, esst im Sommer mehr einheimische Tomaten! Denn der Tomatenverbrauch ist unverständlicherweise rückläufig, im Wirtschaftsjahr 2011/12 hatte jeder von uns noch fast 25 Kilo Tomaten gegessen.
Geballter Gefäßschutz
Wer im Winter nicht auf Tomaten verzichten will, sollte lieber welche in Dosen kaufen, die in Italien vollreif gepflückt und verarbeitet wurden, sonst ist beim besten Willen kein tomatiger Geschmack in die Soße zu bekommen. Wenn auch das Vitamin C durch die Verarbeitung leidet, das ebenfalls gesunde Lycopin wird durch das Erhitzen nicht abgebaut. Im Gegenteil – Studien belegen, dass Tomaten aus der Dose oder Tomatenmark und -saft mehr Lycopin enthalten als frische Tomaten. Das liegt daran, dass Tomaten für die Verarbeitung vollreif geerntet werden; zu diesem Zeitpunkt haben sie wesentlich mehr von dem roten Pflanzenstoff in sich als in halbreifem Zustand. Außerdem werden beim Erhitzen die pflanzlichen Zellstrukturen aufgeschlossen und der menschliche Körper kann das herausgelöste Lycopin besser resorbieren. Eine noch bessere Aufnahme wird erreicht, kombiniert man die Tomaten mit Fett – zum Beispiel mit Olivenöl. Ein Glas Tomatensaft, etwas Pfeffer und ein paar Tropfen kalt gepresstes Olivenöl ergeben also ein wahres Gesundheitselixier. Mit Öl und ein bisschen Gewürz lässt sich der mitunter etwas fade Geschmack des Saftes auch auf der Erde verbessern, denn wer steigt schon täglich ins Flugzeug, nur um Tomatensaft zu trinken? Dort oben nämlich schmeckt er aromatischer. Der Grund ist der Druckverlust in der Kabine. Vermutlich deshalb wird über den Wolken ungewöhnlich viel Tomatensaft konsumiert. Allein die Lufthansa schenkt jedes Jahr 1,7 Millionen Liter davon an ihre Passagiere aus.
Dem Lycopin wird eine Vielzahl an positiven Auswirkungen auf unsere Gesundheit zugesprochen. Es macht freie Radikale unschädlich, die im Körper zum Beispiel durch das Rauchen oder bei zu viel UV-Strahlung entstehen. Dieses Carotinoid kann die UV-Empfindlichkeit der Haut senken. Studien deuten darauf hin, dass der sekundäre Pflanzenstoff vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen kann, weil er Cholesterin abbaut. Dadurch soll das Infarktrisiko um 48 Prozent sinken. Auch die Bildung bestimmter Krebszellen könne gehemmt werden, heißt es. Außerdem bringen Ballaststoffe von Kernen und Schale den Darm sanft in Schwung; Kalium, Folsäure und die Vitamine C und E vollenden die guten Taten des roten Gesundheitswunders. Und das alles bei nur 17 kcal, viel Wasser und Null Fett!
Die Tomate ist ein Alleskönner, sie schmeckt roh, gegrillt und gekocht, pur und im Salat, auf der Pizza und zur Pasta, ganz, in Scheiben, gestückelt und püriert. Und natürlich als Ketchup. Doch Achtung: In der roten Tunke stecken weniger Tomaten, als Sie denken, dafür aber satte 20 Prozent Zucker! Besser, wir machen’s wie die Italiener, bei denen Crostini und Bruschetta eine lange Tradition haben. Der Mehraufwand ist gering, dafür das Geschmackserlebnis groß. Eine glasklare Trennung zwischen den beiden Antipasti-Zwillingen, die in (fast) jedem italienischen Restaurant als Amuse gueule serviert werden, gibt es kaum. Laut Expertenmeinung werden Crostini vor dem Überbacken belegt oder bestrichen; bei den Bruschetta wird das “nackte” Brot im Ofen geröstet, erst dann kommt der Belag darauf. Crostini sind zudem von der Größe der Brotscheibe her kleiner als Bruschetta. Egal, beide Varianten sind geröstete Brotschnitten, die beträufelt, bestrichen und lecker belegt sind:
Bruschetta
Zubereitung:
Den Stielansatz der gesäuberten Tomaten herausschneiden und die Tomaten mit einem scharfen Messer sehr klein würfeln. Die geschälte Schalotte fein hacken. (Sie kann auch weggelassen werden.) Beides mischen. Die Knoblauchzehe pellen; ganz lassen und nur eine Spitze abschneiden. Ein paar Basilikumblätter klein rupfen.
Die Brotscheiben im vorgeheizten Ofen oder im Toaster bräunen. Sofort mit der abgeschnittenen Seite der Knoblauchzehe kräftig einreiben und mit etwas Olivenöl bestreichen. Erst jetzt die Tomatenwürfel leicht salzen und pfeffern. Auf den Brotscheiben verteilen, mit dem restlichen Olivenöl beträufeln und mit dem Basilikum bestreuen.
Wer es gehaltvoller haben will, kombiniert mit Mozzarella, Scamorza, Parmesan, Rucola, gerösteten Pinienkernen, Pesto, gebratenen Garnelen oder Hühnerleber. Überbacken wird’s halt zu Crostini – Ihrer Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. Aber ehrlich gesagt: Selbst die Urform einer Bruschette mit wenigen Zutaten, aber viel Aroma hat ein nicht zu unterschätzendes Suchtpotential.
Einen leckeren Tomaten-Sommer wünscht Ihnen Heidi Driesner.
Quelle: n-tv.de
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