Stand: 02.07.2014 18:42 Uhr
Zwei mal haben Millionen Afghanen gewählt. Zunächst sah sah alles gut aus, die Menschen trotzten den Drohungen der Taliban, begeistert von der Demokratie. Doch wenige Wochen später scheint alles in Gefahr. Denn der Kandidat Abdullah beklagt massiven Wahlbetrug und will das Ergebnis nicht anerkennen. Seine Anhänger demonstrieren – und viele Afghanen fürchten, dies könnte in Gewalt umschlagen. Taqi – der junge Schriftsteller – war immer optimistisch. Nun hat er sich gemeldet. In großer Sorge.
Von Taqi Akhlaqi
Wohin gehen, wenn die Situation sich verschlechtert? Das war die große Frage als wir in der Familie diskutierten – vor einigen Nächten. Nachdem wir an zwei Wahlrunden teilgenommen haben – trotz aller Drohungen und nach fast einem Jahr, in dem sich alles um Wahlen drehte, stecken wir nun in der Sackgasse. Sind blockiert auf eine besonders schlimme Art und Weise. Abdullah, einer der beiden Kandidaten, macht nicht mehr mit im Wahlprozess. Er beklagt massiven Wahlbetrug, beklagt gefälschte Stimmen. Er sagt, er wird kein Ergebnis akzeptieren, es sei denn, die gefälschten Stimmen werden gestrichen. Abdullah glaubt, es betreffe 2 bis 2,5 Millionen Stimmen.
Aber es sieht so aus, dass weder die Wahlkommission noch Präsident Karsai seine Forderung ernst nehmen. Das hat die Menschen überall im Land erbost. Die Leute haben einfach genug von diesem langen und endlosen Prozess. Sie glauben, sie haben ihre Aufgabe erledigt. Nun ist die Regierung am Zug, die politischen Anführer müssen erkennen, welche Verantwortung sie tragen. Die normalen Leute sind komplett hilflos.
Vertrauensverlust in die Demokratie
Seit einem Jahr geht es wirtschaftlich bergab, viele Menschen – zuerst die Eliten – haben das Land verlassen. Es wird nicht mehr investiert, Armut und Arbeitslosigkeit nehmen zu. Diese Wahl hat die Probleme vergrößert, anstatt uns Afghanen in eine bessere Zukunft zu führen. Viele bereuen schon, dass sie gewählt haben, weil sie denken, der neue Präsident werde durch Betrug an die Macht kommen. Nicht durch echte Stimmen.
Ganz einfach: Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Demokratie und das ist für unsere Zukunft sehr gefährlich. Viele Afghanen meinen, dass die aktuelle Blockade im Land sehr gefährlich und heikel ist. Sie bereiten sich auf schlimme Tage vor. Darauf, dass die Armut wächst, dass sie lange keine Arbeit haben werden, dass sie Wirtschaft am Boden liegt. Sogar Katastrophen und bewaffnete Konflikte scheinen möglich.
Mein Vater sagte mir: “Ich wusste, dass es so kommt. Noch nie hat ein Präsident in Afghanistan die Macht friedlich übergeben und Karsai wird das auch nicht tun. Ich habe es gewusst, aber du sagtest immer, diesmal wird alles anders. Aber das ist Afghanistan.”
“Wird die Geschichte sich wiederholen?”
Wir haben verschiedene Optionen durchgesprochen. Mein Bruder schlug vor, Lebensmittel einzulagern, so wie einige unserer Nachbarn. Ich sagte, wir sollten noch abwarten, es wäre noch zu früh, um etwas vorherzusehen. Meine Mutter und meine Schwester drängten darauf, in eine andere Stadt zu ziehen. Denn Kabul war immer ein Brennpunkt aller Kriege. Sollte es diesmal schiefgehen, die Einwohner wären hier am verletzlichsten – verglichen mit anderen Städten. Sie schlugen vor nach Herat zu gehen, an der Grenze zum Iran. Wir haben dort einige Verwandte und Freunde und es ist unwahrscheinlich, dass wir dort hungern müssten. Außerdem: Wenn es ganz schlimm kommen sollte, könnten wir in den Iran fliehen. Als ich ihnen zuhörte, dachte ich: Vielleicht war ich gerade so alt wie mein Sohn Hussain heute, als meine Eltern schon einmal die Grenze überquerten. Wird sich Geschichte wiederholen? Eine harte, bittere Frage. Und was können wir tun, außer unsere Wünsche nicht aufzugeben?
Wie dem auch sei, wir werden erst einmal abwarten. Das waren nur Optionen für schlechte Tage. Ich bin immer noch optimistisch und beschäftige mich den ganzen Tag mit Literatur und der Fußball-Weltmeisterschaft. Ich mag die Teams aus Deutschland und den Niederlanden. Ich denke, die deutsche Mannschaft hat diesmal eine gute Chance. Denkt ihr das auch?
tagesschau.de – Die Nachrichten der ARD
"Afghanisches Tagebuch": Furcht vor Gewalt nach der Wahl
No comments:
Post a Comment