Saturday, June 28, 2014

Palästinensischen Flüchtlinge stranden im Libanon


Stand: 29.06.2014 05:23 Uhr


Palästina kennen sie nur aus Erzählungen. Denn aufgewachsen sind sie in syrischen Lagern. Irgendwann wurden die zu ihrer Heimat. Doch auch dort hat sie der Krieg nun vertrieben. Gestrandet sind die palästinensischen Flüchtlinge nun im Libanon – wo niemand sie will.


Von Martin Durm, SWR


Das tägliche Brot wird hier nur einmal pro Woche verteilt, immer samstags, wenn sich schon am frühen Morgen Hunderte Frauen und Männer vor der Lagerverwaltung versammeln. Der Platz ist voller Müll, das Gebäude schäbig, die Menschen davor wirken gierig und aggressiv. Sie warten, sie lauern.  


Endlich wird im Erdgeschoss ein Fenster geöffnet. Ein UN-Mitarbeiter erscheint, der in Plastiktüten verpackte Brotfladen durchreichen will. “Einer nach dem anderen”, ruft er. Aber niemand schert sich darum. Das Brot wird ihm aus den Händen gerissen, ein paar Minuten später ist alles vorbei.


“Wir haben wieder nichts abgekriegt”, klagt eine ältere Frau. “Dabei hab ich doch eine kranke Tochter. Wir sind aus Syrien. Wir sind Flüchtlinge. Wir leben jetzt schon seit acht Monaten in diesem Lager.”


In den Gassen des Lagers steht knöchelhoch das Abwasser


Borj Camp, ein palästinensisches Flüchtlingslager am Stadtrand Beiruts, der Hauptstadt des Libanon. 30.000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Zusammengepfercht im Durcheinander verschachtelter Baracken und Häuser. Das gesamte, nicht enden wollende Elend des Nahen Ostens verdichtet sich in diesen Gassen, in denen knöchelhoch das Abwasser steht. Es gibt hier die alteingesessenen palästinensischen Familien, die schon 1948 nach der Gründung Israels in den Libanon flohen. Und es gibt die vielen palästinensischen Neuzugänge aus Damaskus, der Hauptstadt Syriens.


“Yarmouk”, sagt Salli, “ich komme aus Yarmouk, dem großen Palästinenserlager in Damaskus. Da haben wir gelebt. Aber dann kamen die Aufständischen in unser Viertel, und sofort begannen die Schießereien in der Nachbarschaft. Wir konnten da nicht länger bleiben. Wir mussten fliehen.”


Salli kennt Palästina, die Heimat ihrer Eltern und Großeltern, nur aus deren Erzählungen. Sie ist noch jung, Mitte 20. Als sie aus Syrien floh in den Libanon floh, verließ sie ein Land, das ihr zur Heimat geworden war.


Syrien? “War für uns fast paradiesisch”. Bis der Krieg begann


Palästinenser standen lange unter dem Schutz des Assad-Regimes. Sie bekamen zwar nicht die syrische Staatsbürgerschaft, hatten aber das Recht, alle staatlichen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen: Krankenhäuser, Schulen, Universitäten. “Yarmouk war für Palästinenser fast paradiesisch”, sagt Salli. “Wir führten ein gutes, ruhiges Leben, hatten, was wir brauchten: Wasser, Gas, Strom. Und wir konnten hingehen, wohin wir wollten. Davon können Palästinenser in anderen arabischen Ländern nur träumen. Ich weiß nicht, warum  dieser Bürgerkrieg geführt wird. Ich weiß nur, dass beide Seiten unser Leben ruinierten. Die Rebellen und das Regime.”  


Anfangs hatten die Palästinenser geglaubt, sich aus dem syrischen Bürgerkrieg heraushalten zu können. Doch schon nach wenigen Monaten geschah, was ihnen immer geschieht: Sie spalteten sich. PFLP (also die Volksfront zur Befreiung Palästinas) gegen PFLP-Generalkommando. Linke Fraktionen gegen islamistisch orientierte: Assad-Unterstützer gegen Assad-Gegner. Während die syrische Regierungsarmee das Lager Yarmouk mit Granaten beschoss, beschossen sich die Palästinenser untereinander. Inzwischen ist Yarmouk fast völlig zerstört. Die meisten der 180.000 Palästinenser, die dort einmal lebten, sind längst geflüchtet.


Der ewige Palästinenser, immer der Verlierer


Von Yarmouk ins Borj Camp. Von Syrien in den Libanon. Von einem Flüchtlingslager ins andere. Es ist die Geschichte des ewigen Palästinensers, immer auf der Flucht, immer der Verlierer. Im Libanon werden Palästinenser seit Jahrzehnten verachtet, diskriminiert und dafür bestraft, dass die Befreiungsorganisation PLO unter Jassir Arafat in den 1970ern versuchte, die Flüchtlingslager als militärische Stützpunkte zu missbrauchen.


Die Camps waren damals Hauptquartiere palästinensischer Terrorkommandos, Kleinstaaten im Staat, in denen Anschläge gegen Israel geplant wurden. Das machte ganz Libanon zum Angriffsziel der Israelis, war Ursache des verheerenden Bürgerkriegs und Anlass einer israelischen Invasion. Bis heute werden die Palästinenser dafür bestraft.


“Wir dürfen hier nicht arbeiten.” – “Wir bekommen nirgendwo einen Job.” Das sind die Klagen, die man hört im Lager Borj, “wir haben keinerlei Rechte, verstehst Du? Nur weil wir Palästinenser sind!”



“Als Flüchtlinge wurden wir geboren. Und werden wir sterben.”


Ein Geschäft gründen, Land kaufen, sich politisch organisieren – nichts davon geht. Außerhalb ihrer Lager sind die Palästinenser im Libanon von Verboten umstellt. Und in den Lagern bleiben sie sich selbst überlassen. Und denen, die von den hoffnungslosen Lebensbedingungen der Flüchtlinge profitieren: Drogenhändler, Waffenhändler, religiöse Fanatiker auf der Suche nach potentieller jugendlicher Gefolgschaft.


Die sitzt im Jugendclub von Borj und schlägt die Zeit tot mit Billardspielen, rauchen und fluchen. “Wer interessiert sich schon für uns Palästinenser?”, sagt Mohammed, der hier das Wort führt. Manchmal sehen sie im Fernsehen den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas, der in seinen Reden noch immer das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nach Palästina beschwört.


Im Jugendclub können sie darüber nur lachen: “Die Welt endet für uns am Tor dieses Lagers”, sagt Mohammed. “Wie sollen wir da an die Versprechen unserer Politiker glauben? Wir wurden als Flüchtlinge geboren. Wir werden auch als Flüchtlinge sterben”.




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Palästinensischen Flüchtlinge stranden im Libanon

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