Monday, June 2, 2014

Abstimmung in Syrien: Wir haben Gleichgültigkeit gewählt


Wir hören kaum noch von Syrien und wenn, dann resigniert. Baschar al-Assad lässt sich am Dienstag zum Präsidenten wählen? Ach so, er ist wieder im Aufwind. Was hätten wir denn auch machen können? Das Regime ist furchtbar, aber seine Gegner sind es doch auch.


Die sogenannten Wahlen in Syrien sollen eine Rückkehr zur Normalität vorgaukeln. Doch der Krieg ist auf Jahre noch nicht vorbei. Die Flüchtlingskatastrophe wird täglich gewaltiger. Einen Nachbarstaat, den Irak, hat Syrien bereits mit in den Abgrund gerissen. Wann den nächsten?


Syrien ist kompliziert, es gibt keine einfachen Antworten – das erzählen wir uns seit dreieinhalb Jahren. Es stimmt auch. Nur nehmen wir es als Ausrede, um uns die entscheidenden Fragen erst gar nicht zu stellen.


Wofür stehen wir? Wofür sind wir bereit einzutreten – und wie? Welche Einflussmöglichkeiten haben wir auf Syrien? Welche haben wir auf Assads Verbündete Iran, Russland und die Hisbollah?


Wann beginnt doch gleich die WM? Lieber ausblenden, dass auch Wegsehen eine Entscheidung ist. An Zeit zum Nachdenken hat es uns wirklich nicht gemangelt. Doch selbst in Jahr Vier der Gewalt bekommt man nur reflexartige Antworten.


Wir haben uns selbst in die Ohnmacht manövriert


Die Linke schreit: “Kein Krieg!” und klammert sich an Syriens anti-imperialistische Propaganda. Und das in einem Aufstand, in dem die einzigen ausländischen Soldaten für Assad intervenieren – Irans Revolutionsgardisten und die libanesische Hisbollah.


Die Konservativen sehen nur noch das Schreckgespenst der religiösen Fanatiker, haben aber offenbar keine Skrupel, ihnen die Menschen in Syrien auszuliefern.


Die Aufstandsbejubler verhalten sich so, als ob es all das nicht gäbe: die Radikalislamisten, den konfessionellen Hass, die berechtigte Angst der Minderheiten.


Die Regierungen schweigen. Nachdem es erst lauthals aus Paris, London und Washington krähte: “Assad muss weg!”, man von “roten Linien” sprach, ist es nun still. Wer soll uns noch ernst nehmen? Wir haben unseren Einfluss selbst systematisch untergraben und uns in die Ohnmacht manövriert.


Der Anschlag von Brüssel war der erste eines Syrien-Rückkehrers


Unsere Gleichgültigkeit wird uns teuer zu stehen kommen. Es gibt internationale Erdbeben, deren Folgen erst nach einigen Jahren zu spüren sind. Sie bringen die tektonischen Platten der internationalen Beziehungen in Bewegung, Machtverhältnisse werden neu abgesteckt und das mit Gewalt. Die Syrienkrise ist das Versagen unserer Generation.


Auch bei uns wird die Krise ankommen. Weite Teile Syriens sind nun seit über zwei Jahren ein Niemandsland. Es ist absurd zu glauben, dass ein Waziristan am Mittelmeer ohne Folgen für uns bleibt. Der syrische Bürgerkrieg hat mehr europäische Dschihadisten angezogen als die Kriege in Afghanistan, Ex-Jugoslawien und Irak zusammen.


Auch uns wird der Terror erreichen und Unschuldige treffen, die genauso wenig glaubten, mit dem Machtkampf um Damaskus etwas zu tun zu haben, wie die mindestens 60 Syrer, die allein am Montag getötet wurden. Vor dem Jüdischen Museum in Brüssel fielen vier Menschen dem ersten Anschlag eines europäischen Syrien-Rückkehrers zum Opfer. Es wird wohl kaum der letzte gewesen sein.




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