Freitag, 12. September 2014
Zwei ungleiche Cops, ein unwirtliches Sumpfgebiet, ein Ritualmord an einer jungen Prostituierten: Was nach einem typischen “Tatort”-Plot klingt, entpuppt sich als nervenzerreißend spannender Crime-Thriller. Der Grund dafür sind aber nicht nur die beiden Hauptdarsteller.
In Deutschland ist der “Tatort” seit Jahrzehnten die erfolgreichste TV-Serie. Dafür verantwortlich sind immer wieder wechselnde Regisseure, Kommissare und Drehorte. Mittlerweile haben auch Kinostars wie Til Schweiger oder Christian Ulmen die Ermittlerrollen für sich entdeckt. Nun bekommt der deutsche Ermittlerkult in Serie Konkurrenz aus den USA. Denn auch dort ist es einer TV-Serie gelungen, hochdekorierte und erfolgreiche Schauspieler zu gewinnen: “True Detective”. Die erste Staffel der HBO-Serie ist jetzt als DVD und Blu-ray erhältlich – und ein Muss für Crime-Fans und US-Serien-Liebhaber. Die Serie stellt auch den “Tatort” locker in den Schatten. Und das hat gleich mehrere Gründe.
In den Hauptrollen brillieren der Oscar-Preisträger Matthew McConaughey (“Dallas Buyers Club”) und Hollywood-Charakterkopf Woody Harrelson (“No Country For Old Men”). Als Ermittlerduo Rustin Cohle (McConaughey) und Martin Hart (Harrelson) der Louisiana State Police werden sie 1995 an einen Tatort in den Sümpfen gerufen. Was sie dort vorfinden, raubt zumindest Hart den Atem: Nackt kniet das Opfer in Gebetshaltung an einem alten Baum. Neben einer Dornenkrone trägt sie ein Hirschgeweih auf dem Kopf und eine spiralförmige Tätowierung auf dem geschundenen Körper.
Beiden Detectives ist sofort klar: Es handelt sich um eine Inszenierung, einen Ritualmord. Und es dauert auch nicht lange, bis sie herausfinden, dass es sich bei der Toten um die junge Prostituierte Dora Lange handelt, ihr Körper voller Drogen. Danach werden die Ermittlungen mühsamer. Ein Täter wird aber dingfest gemacht.
Zweiter Erzählstrang
2012, das Ermittlerduo geht mittlerweile seit Jahren getrennte Wege, geschieht ein ähnlicher Mord und Hart und Cohle werden eingeschaltet, sollen ihren Fall und vor allem ihr Vorgehen von vor 17 Jahren haarklein aufdröseln. Doch die Ermittler von einst gibt es nicht mehr, vor allem Cohle ist sozial abgerutscht.
Aus dem smarten hemdtragenden Typen von einst, dessen Spitzname “Tax Man” war, weil er wie ein typischer Beamter der Steuerbehörden aussah und auch immer eine Riesenschreibmappe statt eines kleinen polizeitypischen Notizblocks mit sich herumschleppte, ist ein alkoholabhängiger Barkeeper geworden. Bier und Whisky schon vor dem Mittag? Das ist Cohles neues Leben.
Hart hingegen scheint aufgeräumt wie eh und je. Aber der Schein trügt. Harts Ehe ist den Bach hinuntergegangen, Cohle ist daran nicht ganz unschuldig, die Hauptschuld trägt Hart aber selbst. Mit der Ehe ging auch der Familienzusammenhalt.
Nach und nach erkennen beide, dass die Geister ihrer Vergangenheit – insbesondere der Fall Dora Lange – ihre Gegenwart bestimmen. Cohle ist sich sicher, dass der Mord noch nicht endgültig aufgeklärt ist, dass der Fall viel tiefer reicht und größere Kreise in der Gesellschaft zieht, als er einst für möglich gehalten hätte. Noch einmal ist das ungleiche Ermittlerduo gefragt – und die Zeit drängt.
In der Ruhe liegt die Kraft
Überhaupt, die Zeit. Bei “True Detective” ist sie relativ. Allein das Intro zu jeder der acht Folgen der ersten Staffel dauert knapp eineinhalb Minuten. Bei den neuen Hochgeschwindigkeits-Action-”Tatorten” ist da schon der halbe Plot erzählt und die erste Leiche unter die Lupe genommen. Nicht so bei “True Detective”. Hier herrscht die Langsamkeit vor. Aber genau diese treibt die Story an, macht die Serie aus, macht sie besonders.
Minutenlanges Schweigen zweier im Auto fahrender Detectives, die nur stur geradeaus durch die Windschutzscheibe starren, die unwirtliche Sumpfgegend des Bible-Belt-Staates Louisiana zieht an ihren ungerührten Mienen vorbei. Und dennoch erkennt der Zuschauer, dass es in den Köpfen der beiden Polizisten arbeitet. Das nötigt ebenso stille Bewunderung ab.
Überhaupt die beiden Detectives: Ein ungleicheres Duo hat man selten gesehen. Während Hart noch als typischer Statie durchgeht, ist Cohle der um seine Alien-Vernarrtheit beraubte Fox Mulder. Andere mögen ihn als Spinner bezeichnen – er selbst sieht sich als Realist, der im philosophischen Sinn ein Pessimist ist. Hart, der zu Beginn noch versucht, den Menschen Cohle etwas näher kennenzulernen, macht nach nur wenigen Sätzen des anderen das Polizeiauto zur gesprächsfreien Zone. Zu verstörend sind die Ansichten Cohles. Das verbale und nonverbale Geplänkel der beiden lässt den Zuschauer nicht los, von der ersten bis zur letzten der insgesamt rund 460 Minuten.
Kongeniale Storyteller
Die Länge ist ein weiterer Pluspunkt von “True Detective”. Sicher, manch anderer Drehbuchautor oder Regisseur hätte den Stoff in 90 TV-Event-Minuten gepackt. Dabei wäre aber so manches unerzählt und auf der Strecke geblieben. Deshalb muss der Zuschauer neben HBO oder Warmer Bros, die den Serienhit nun ins deutsche Heimkino bringen, vor allem dem Autor Nic Pizzolatto und Regisseur Cary Fukunaga (“Sin Nombre”) Dank zollen.
Auf Fukunagas Konto geht die anderen TV-Serien und auch so manchem “Tatort” oft abgehende Bildgewaltigkeit. Wunderschön und dennoch verstörend bizarr kommt sie daher. Fukunaga ist es auch, der die Schlussszene einer Folge minutenlang ohne Schnitt filmt. In einem einzigen Take sieht sich der Zuschauer deshalb einer wilden Schießerei konfrontiert und fühlt sich deshalb, als wäre er live dabei, ein Teil davon.
Pizzolatto wiederum ist es zu verdanken, dass die Crime-Story im Verlauf der Serie immer mehr in den Hintergrund tritt und nur noch den Rahmen für die einzigartige Charakterstudie der beiden ungleichen Detectives bildet. Der Zuschauer erfährt in Rückblenden immer neue Details aus der Vergangenheit von Hart und vor allem Cohle und kann sich so nach und nach einen Reim darauf machen, wie Cohle vom spröden Einzelgänger zum wortkargen Nihilisten geworden ist, ein Zyniker vor dem Herrn. Das Ganze spielt McConaughey dann so überzeugend, dass man sich fragen muss, warum er dafür keinen Emmy erhalten hat. Den bekam in diesem Jahr Fukunaga für die beste Regie.
Alles neu in Staffel 2
Mehr zum Thema
Am Ende fällt aber eine Gemeinsamkeit von “True Detective” und “Tatort” ins Auge: In der zweiten Staffel der US-Serie wird alles neu gemischt: ein anderer Autor, ein neuer Regisseur und auch die Hauptdarsteller-Riege wird ausgetauscht. Alles neu macht der Mai, oder vielmehr der Sommer, die Dreharbeiten haben gerade begonnen, die neue Staffel soll im Sommer 2015 im US-Fernsehen laufen.
Das war von Anfang an so geplant – und heizt deshalb bereits jetzt die Gerüchteküche an. Kostenlose Promotion. Neben Christian Bale werden etwa Brad Pitt und Michael Fassbender als neue “True Detective” gehandelt. Der Spielort soll wohl Los Angeles sein. Über das Thema wird bereits spekuliert …
Eins ist aber sicher: Die neue Staffel wird wie die erste ein voller Erfolg werden, wenn die Latte zugegebenermaßen auch sehr hoch liegt. Da nehmen sich “True Detective” und “Tatort” letzten Endes nichts.
“True Detective” bei Amazon bestellen
Quelle: n-tv.de
Acht Stunden sind der neue Maßstab: Darum ist "True Detective" besser als "Tatort"
No comments:
Post a Comment